Physiotherapie in Bochum auf der Königsallee
„Physiotherapie
Physiotherapie (griechisch φύσις, phýsis „Natur“ und θεραπεία, therapeía „das Dienen, die Bedienung, die Dienstleistung, die Pflege der Kranken“), in Deutschland bis 1994 Krankengymnastik, ist eine Form spezifischen Trainings und der äußerlichen Anwendung von Heilmitteln, mit der v. a. die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des menschlichen Körpers wiederhergestellt, verbessert oder erhalten werden soll.
Die Behandlungen werden von Physiotherapeuten durchgeführt. Physiotherapeut ist in Deutschland kein eigenständiger Heilberuf, sondern gehört zu den Gesundheitsfachberufen (früher Heilhilfsberufe). Die medizinische Notwendigkeit wird ausschließlich durch Ärzte festgestellt und auf Rezept verordnet, außer bei präventiven Maßnahmen. Sporttherapeuten, -wissenschaftler und -lehrer erfüllen nicht die Zulassungsvoraussetzungen als Physiotherapeut und dürfen das Heilmittel Krankengymnastik weder erbringen noch abrechnen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Ziel
- 2 Forschung
- 3 Synonyme und verwandte Bereiche
- 4 Geschichte
- 5 Theoriebildung in Deutschland
- 6 Literatur
- 7 Weblinks
- 8 Einzelnachweise
Ziel
Die Physiotherapie orientiert sich bei der Behandlung an den Beschwerden und den Funktions-, Bewegungs- bzw. Aktivitätseinschränkungen des Patienten, die bei der physiotherapeutischen Untersuchung festgestellt werden. Sie nutzt sowohl diagnostische und auf clinical reasoning basierende, wie auch pädagogische und manuelle Kompetenzen des Therapeuten. Gegebenenfalls wird sie ergänzt durch natürliche physikalische Reize (z. B. Wärme, Kälte, Druck, Strahlung, Elektrizität) und fördert die Eigenaktivität (koordinierte Bewegung sowie die bewusste Wahrnehmung) des Patienten. Die Behandlung ist an die anatomischen und physiologischen, motivationalen und kognitiven Gegebenheiten des Patienten angepasst. Dabei zielt die Behandlung einerseits auf natürliche, physiologische Reaktionen des Organismus (z. B. motorisches Lernen, Muskelaufbau und Stoffwechselanregung), andererseits auf ein verbessertes Verständnis der Funktionsweise des Organismus (Dysfunktionen/Ressourcen) und auf eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen Körper ab. Das Ziel ist die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der Gesundheit und dabei sehr häufig die Schmerzfreiheit bzw. -reduktion.
Forschung
Im englischen Sprachraum wird unter anderem die Pathokinesiologie/Kinesiopathologie als kennzeichnende Wissenschaft gesehen, der eine zentrale Rolle für die professionelle Identität der Physiotherapie[1] bzw. ihrer Abgrenzung zu anderen Berufen zukommt, welche sich im Gegensatz zu ihr nicht professionell mit dem menschlichen Bewegungssystem[2] auseinandersetzen. Publikationen forschender Physiotherapeuten werden international in medizinischen bzw. naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert, und sind dabei dem peer-review unterzogen.[3][4][5][6][7][8][9][10]
Konkrete Anwendung finden z. B. die Arbeiten einer US-amerikanischen Forschergruppe bei der Etablierung spezifischer Diagnosekategorien, zum Zweck der ursachenbezogenen und zielgerichteten Therapie von Schmerzsyndromen des menschlichen Bewegungssystems.[11]
Synonyme und verwandte Bereiche
Die englische Bezeichnung „physical therapy“ ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff „Physikalische Therapie“ im Deutschen. Physiotherapie und Physikalische Therapie werden teilweise als Synonyme bzw. gemeinsames Fachgebiet betrachtet; korrekterweise wird die Physikalische Therapie aber als Unterbereich der Physiotherapie angesehen. Mit Blick auf finanzielle Abrechnungsmodalitäten sollen „Auf Intervention verschiedener Fachgruppen (…) die Bereiche Physiotherapie und physikalische Therapie im nächsten Entwurf (der Diagnosis Related Groups) wieder getrennt (werden), damit auch z. B. eine physiotherapeutische Behandlung und eine Wärmeanwendung einzeln gezählt werden können.“[12]
Geschichte
Altertum bis zur Neuzeit
Viele Verfahren der Physiotherapie haben ihren Ursprung weit zurückliegend. Archäologische Funde zeigen, dass Thermal- und Mineralquellen bereits in frühgeschichtlicher Zeit genutzt wurden. Verschiedene Formen der Massage und von medizinischen Bädern kannte man bereits vor ca. 4000 Jahren in China.
Aus der Antike sind gezielte gymnastische und diätetische Erziehungsideale überliefert. Die Athleten der antiken Olympischen Spiele hatten speziell ausgebildete Trainer, die über die so genannte „Körperhygiene“ ihrer Schützlinge wachten. Damit taten sie für die Gesundheit und Vitalität der jungen Leute oft mehr als jeder Arzt.
Auch der griechische Arzt Hippokrates vertrat verschiedene medizinische Auffassungen, die sich heutzutage in der Physiotherapie wiederfinden. Er verstand den lebendigen Leib als Organismus, Gesundheit als Gleichgewicht und Krankheit als gestörten physischen und psychischen Gesamtzustand. Seine Überzeugung war, dass die Natur eine Heilkraft besitzt. Hippokrates und sein späteres römisches Pendant Galen hoben die gesundheitliche Wirkung aller „Leibesübungen“ hervor.
Das uralte Yoga lässt sich ebenfalls hier einstufen, mit seinen präzisen Asanas wie als passive Massage. In China findet sich das Qigong als Übemethode zur Selbstregulation und die Tuina-Anmo Therapie als manuelle Behandlungsmethode.
Schon früh nutzte man die positiven Beobachtungen zur Gesundheitsberatung der Bevölkerung. Man empfahl regelmäßige Bewegung in Form von Spaziergängen, Schwimmen, Laufen, Reiten, Spielen und Tanzen. Auch die erholsame und heilende Wirkung von Massagen und Heilbädern ist seit der Antike bekannt. Die Diätetik bezog sich nicht nur auf eine gesunde Ernährung. Ebenso wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wachen und Schlafen geachtet.
Bis ins hohe Mittelalter hinein änderte sich daran wenig, die „Rezepte“ blieben die gleichen. Eher war es so, dass durch den kirchlichen Einfluss der Körper in Vergessenheit geriet; u. a. hätten gottesfürchtige Geschöpfe das Leben und Leiden als schicksalhaft zu betrachten. Dies änderte sich erst mit der Renaissance, in der die antiken Ideale wieder erwachten.
Humanismus und Aufklärung
Vom Humanismus beeinflusst rückten jetzt auch Frauen, Kinder und behinderte Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen und Erkrankungen in den Mittelpunkt medizinischer Betrachtung. Im 18. Jahrhundert begründete der französische Arzt Nicolas Andry die Orthopädie (frei: „Erziehung zur aufrechten Haltung“). Er beobachtete systematisch die häufigen Haltungsschwächen und Deformitäten bei Kindern. Er verschrieb spezielle gymnastische Übungen zur Therapie und Prophylaxe. Der Schweizer Arzt Jean-André Venel (1740–1791) eröffnete 1780 die erste orthopädische Klinik der Welt in Orbe/Kanton Waadt.
Johann Christoph Friedrich Guts Muths begründete die pädagogische Gymnastik in Deutschland und Franz Nachtegall (1777–1847) 1798 in Kopenhagen die „Gymnastische Gesellschaft“. Aus deren Leibesübungen entwickelte der Schwede Pehr Henrik Ling eine gezielte therapeutische Gymnastik, wie heute noch an den „Gebrauchsbewegungen des Alltags“ angelehnt. Er kombinierte seine Behandlungen mit Massagen für spezielle Muskelgruppen.[13]
Im 18. Jahrhundert fanden erste Medikamente zwar Anklang, brachten allerdings auch Gefahren mit sich. Mancher Arzt propagierte die Anwendung von Mineralwässern, Heilbädern und der Hydrotherapie. Dies setzte sich im 19. Jahrhundert weiter fort, die Beliebtheit der Hydrotherapie stieg an.
Vor allem in Deutschland erlebte die Hydrotherapie einen wahren Boom: Der Urvater der Hydrotherapie, Sebastian Kneipp, entwickelte eine einfache Lebensregelung, kombinierte sie mit der Anwendung pflanzlicher Medikamente und einer Gesundheitserziehung.
Der Berliner Arzt Albert C. Neumann brachte die „schwedische Heilgymnastik“ nach Deutschland. Er definierte als erster den Beruf des „Gymnasten“ und setzte sich für die berufliche Emanzipation der Frauen ein. 1853 eröffnete er die erste Gymnastenschule für Damen. Der Schwede Gustav Zander entwickelte ab ca. 1865 ein System von Gymnastik- und Massageapparaten, die medico-mechanische Therapie. In Deutschland wurden die Geräte u. a. in „Zander-Instituten“ als Trainingsgeräte in Vorsorge und Therapie eingesetzt, später kamen Weiterentwicklungen, Plagiate und einfachere Bewegungsgeräte hinzu.
Zudem wuchs der Bedarf an Behandlungen durch die Kriege (1870/71, 1914-18 und 1939-45) und infolge der steigenden Arbeits- und Verkehrsunfälle. Johann Hermann Lubinus gründete die von vielen Fachärzten angesehenen „Lubinus-Schulen“. Nun machte die Krankengymnastik erstmals verstärkt mit Patienten aus der Chirurgie und Neurologie Bekanntschaft (die Kinderlähmung nahm weltweit ein hohes Ausmaß an). Für die Behandlung von Herz– und Lungenerkrankungen sowie in der Rheumatologie fand eine Rückbesinnung zu Heilbädern und der Kneipp-Lehre statt. Im Jahr 1941 wurde Wolfgang Kohlrausch zum ersten Ordinarius für Bewegungstherapie an die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg berufen.
Nach der Währungsreform 1948 kam es im Gesundheitswesen zu Sparmaßnahmen, die zu einem deutlichen Stellenabbau führten. Erst mit der Gründung von Landesverbänden konnte sich der Berufsstand wieder besser etablieren und ausbauen. Verträge mit Krankenkassen und eine Vereinheitlichung der Ausbildung machten krankengymnastische Einrichtungen wieder rentabel. In den 1950er Jahren bildete sich der ZVK (Zentralverband der Krankengymnasten), bis heute der größte aller deutschen Verbände. Durch seine Arbeit gelang 1959 eine bundesgesetzliche Abgrenzung des „Krankengymnasten“ zu anderen ärztlichen Hilfsberufen.
Im Zuge der Wiedervereinigung und der Anpassung an den internationalen Sprachgebrauch kam es 1994 zu einer Novellierung der Berufsgesetze (siehe MPhG). Von nun an heißen die Krankengymnasten „Physiotherapeuten“, wie es bereits in der DDR üblich war.
Theoriebildung in Deutschland
Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich die deutsche Physiotherapie vorwiegend darum bemüht, sich im Gesundheitswesen zu etablieren und zu verankern. Sie hat sich deshalb entlang der Medizin entwickelt und somit am medizinischen Denkmodell definiert. Grundlegend für das medizinische Modell war zu dieser Zeit das Konzept der „Normalität“, das die Therapie wiederherstellen sollte. Abweichungen galten abnormal. Jede Krankheit hatte demnach einen nachweisbaren Auslöser (beispielsweise einen Keim). Die Medizin behandelte demnach nicht das Individuum, sondern die Krankheit und versuchte sie zu eliminieren.
Erst seit Mitte der 1990er Jahre vollzieht sich allmählich ein Paradigmenwechsel. Die Krankheit wird nicht mehr primär als Funktionsstörung gesehen, die repariert werden soll, sondern eine ganzheitliche Sichtweise steht im Vordergrund.
Die Theorien der Physiotherapie basieren primär auf Anatomie und Physiologie des Menschen bzw. auf bewegungswissenschaftlichen Grundlagen (z. B. motorisches Training, sensomotorische Aktivierung, Wahrnehmungstraining, Haltungsschulung). Die physikalische Therapie basiert zudem auf den Grundlagen der Physik (z. B. Elektro-, Ultraschall-, Thermo-, Hydro-, Balneotherapie).
Der Physiotherapie stehen eine Vielzahl von Techniken zur Verfügung, unter anderen PNF (Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation), Manuelle Therapie (Mobilisierende Techniken zur Gelenksmobilisation), Weichteiltechniken (Heilmassage, Bindegewebstechniken, osteopathische Techniken zur Faszienmobilisation), Sensomotorische Aktivierung (Semota, Kognitives Training nach Perfetti) und Heilgymnastik (passive, assistive, aktive oder resistive Techniken).
Die grundlegende Ausbildung befähigt jedoch nicht automatisch zur Durchführung dieser Techniken. Wird eine Zulassungsbeschränkte Therapieform wie beispielsweise Manuelle Therapie, PNF, Neurophysiologische Techniken o. ä. vom Arzt an den Physiotherapeuten verordnet, so ist zur Erbringung des Heilmittels (Rezeptposition) der Qualifizierungs-Nachweis des Therapeuten gegenüber der Krankenkasse notwendig.“
Ende Auszug aus Wikipedia